„Stimmig“ und „Hätte so sein können“ (Teil 2/2)

„Hätte, hätte, Fahrradkette!“

(Peer Steinbrück, 2013)

Ich falle einmal mit der Tür ins Haus. Dieser zweite Teil beschreibt meine Sicht auf die beliebteste Begründung für etwas, von dem der Gartenbahner im Grunde nichts genaues weiß, ihm auch nichts besseres einfällt, wenn er auf eine Unstimmigkeit hingewiesen wird und deshalb erwidert: „Hätte aber so sein können“.

Meine Betrachtung des Attributs „stimmig“ ist im 1. Teil nachzulesen und auch, wie es gebraucht wird in Bezug auf Fahrzeugmaßstäbe, Züge und Spurweiten. Außerdem gibt es dort noch einige Tipps, wie man sich dieser Stimmigkeit relativ einfach nähern kann, wenn sie denn gewünscht ist.

Aber untersuchen wir auch hier erst einmal, was dieser Satz tatsächlich beinhaltet, um eine gemeinsame Grundlage für die weiteren Betrachtungen zu schaffen:

„Hätte … können“ heißt:
Es wäre möglich („hätte“),  vorausgesetzt, die technischen Möglichkeiten würden genutzt („können“).

Ein kleines Quiz

Stellen Sie sich einmal dieses vor:
Spitzwegs „Bücherwurm“ (gemalt 1850) steht nicht vor einer riesigen Bücherwand, sondern vor einem riesigen mechanischen, von einer Dampfmaschine angetriebenen Computer, der mit verschiedenen Programmen geladen werden kann, um dann zu rechenen und die Ergebnisse auszudrucken.

Spitzwegs Bücherwurm (1850) vor einen mechanischen, mit Dampf angetriebenen Computer, Quelle: Wikipedia, Fotomontage

Spitzwegs Bücherwurm (1850) vor einen mechanischen, mit Dampf angetriebenen Computer, Quelle: Wikipedia, Fotomontage

Unglaublich, ein Hirngespinst von Jules Verne, dem Schöpfer von 20.000 Meilen unter dem Meer?

Nein, dieser mechanische Apparat (Analytic Engine) war tatsächlich der erste  mit Lochkarten programmierbare Computer für die vier Grundrechenarten, sollte später sogar Wurzelberechnungen und trigonometrische Funktionen durchführen können und hatte einen Speicher von 1000 Worten zu je 30 Dezimalstellen, also etwa 12 kB. Zahlen sollten mit einer Genauigkeit von 12 Stellen hinter dem Komma berechnet werden.
Eine Dampfmaschine war als Antrieb vorgesehen. Drei Arten von Lochkarten sollte es geben: Einmal um Werte in einen Speicher zu schreiben und auch wieder auslesen zu können, für mathematische Operationen und für Konstanten. Für die Ausgabe waren geplant wahlweise ein Drucker, Kurvenplotter oder ein Gerät, das Zahlen in Metallplatten stanzen sollte.

Erfinderin der Programmiersprache und Schöpferin verschiedener Programme (samt Unterprogrammen) war die Mathematikerin Ade Lovelace (1815 – 1852).

Ade Lovelace (1815 - 1852), Mathematikerin und Programmiererin, Quelle: Wikipedia

Ade Lovelace (1815 – 1852), Mathematikerin und Programmiererin, Quelle: Wikipedia

Der Bau der Maschine wurde 1822 begonnen von Charles Babbage (1791 – 1871) und musste mit seinem Tod eingestellt werden.

Die Analysen seiner 1837 veröffentlichten Baubeschreibungen ergab, dass dieser Computer tatsächlich funktioniert hätte.

Erst 100 Jahre später ging dann der erste programmierbare Computer  – wie wir ihn uns gemeinhin vorstellen – in Betrieb.
(Quelle: Bilder und Informationen de.wikipedia.org)

Der Unterschied

Der Unterschied von dieser science fiction-artigen Darstellung zum spekulativen Gebrauch von „Hätte aber sein können!“ im Gartenbahnbereich ist ein ganz einfacher: An dieser Maschine wurde tatsächlich gebaut, sie wäre betriebsfähig gewesen.

In der Gartenbahnwelt wird diese Formulierung hingegen gerne benutzt, um eigenes Tun zu begründen, für das sich aber keine Nachweise im Vorbild finden lassen oder die sogar abwegig sind. Vielfach wird dabei der Fehler gemacht, aus aktuellen Sachverhalten auf Dinge schließen zu wollen und auch zu rechtfertigen, ohne darauf zu achten, ob sie den Umständen entsprechend wirklich so möglich waren.

So eher nicht

Insofern ist bei den folgenden Beispielen nicht mit „Hätte aber sein können“ zu argumentieren, sondern es sind einfach nur Ergebnisse einer Spielbahn:

  • Eine RhB Ge 6/6 I kann keine 30 Zementwagen an den Haken nehmen, da sie dafür schlicht zu schwach ist.
  • Silberlinge mit digitalen Zugzielanzeige: Ein erster  Prototyp eines passenden LCD-Displays wurde erst nach Umbau und bunter Umlackerierung der Wagen entwickelt, die Serienfertigung folgte noch später. Silberlinge mit Massoth-LCD-Zugzielanzeige in den Wagenseiten ist daher Wunschdenken, auch wenn die Anzeigen selbst sehr gelungen sind und in anderen Wagen und Triebwagen eine ausgezeichnete Figur machen.
  • Nicht alle Loks ziehen Personenzüge, da sie nicht alle über die notwendigen Anlage zum Heizen der Wagen verfügen.

Und so geht es munter weiter … Diese typischen und weitere Beispiele finden sich in den einschlägigen Foren.

Bei der Gartenmodellbahn kommen wir aber mit Spekulationen nicht wirklich weiter, denn entweder war/ist etwas oder eben nicht.

„Hätte so sein können“ erzeugt daher den Eindruck wie die beliebte Entschuldigung „Das war gut gemeint“. Allerdings ist „gut gemeint“ nicht „gut gemacht“ und „hätte so sein können“ noch lange kein „ist so gewesen“.

Dennoch …

… gibt es Anlagen und Eigenbauten, über die man durchaus sagen könnte: „Hätte so sein können“. Sie stützen sich auf Vorbilder und vor allem auf zeitlich stimmige Sachverhalte.
Diese selbst gebauten Modelle sind sehr überzeugend und zeigen, dass man sich ausgiebig mit den Vorbildern beschäftigt hat.

Eine Beschäftigung mit dem Vorbild wünscht man sich an anderer Stelle allerdings oft vergebens, zumindest dann, wenn es wieder mit tiefster Überzeugung heißt: „Es hätte aber so sein können!“.


Zum 1. Teil

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