„Stimmig“ und „Hätte so sein können“ (Teil 1/2)

2 x 3 macht 4
Widdewiddewitt und Drei macht Neune !!
Ich mach‘ mir die Welt
Widdewidde wie sie mir gefällt ….

(Pippi Langstrumpf, 1969)

„Stimmig“ und „Hätte so sein können“ sind zwei beliebte Floskeln in Gartenbahn-Foren, die dort recht freizügig zur Beschreibung von allerlei Sachverhalten gebräuchlich sind, vorzugsweise bei der Beschreibung von Modellen oder Zugkombinationen.

Im ersten Teil wird der Begriff „stimmig“ genauer beleuchtet werden in Bezug auf Fahrzeuge und deren Maßstäbe zueinander. „Stimmigkeit“ von weiteren Zubehör wie Häuser, Figuren und Fahrzeuge soll in einem späteren Beitrag zum Thema Maßstab untersucht werden. Die Variante „Hätte so sein können“ wird hier im zweiten Teil besprochen.

Schauen wir einmal, was Wikipedia dazu berichtet, um für die weitere Betrachtung eine übereinstimmende Basis zu definieren:

Von Stimmigkeit spricht man, wenn die Teile eines Ganzen gut zusammenpassen und sich widerspruchsfrei ergänzen: dann ist es „in sich stimmig“.

Wir merken uns: Wenn etwas gut zusammenpasst und sich widerspruchsfrei ergänzt, dann ist es „stimmig“. Diese Definition hat also zwei Teile, die beide durch „und“ verbunden und somit zusammengehörig sind. Gerne wird der Begriff „stimmig“ in der Gartenbahnwelt anders, nämlich wie hier vereinfacht verwendet:

„Es ist stimmig, wenn es stimmig aussieht!“

Der Zitatgeber möge mir die Verwendung hier verzeihen. Ich kenne ihn als sehr freundlichen, akkuraten und keineswegs oberflächlichen Menschen, der seine Freude an Motto-Fahrtagen hat, sowohl wenn Regel- und Schmalspur konsequent getrennt werden als auch an Spaßfahrtagen, bei denen es keine Beschränkungen gibt. Aber dieser Satz beschreibt die Wortverwendung in machen Gartenbahnforen nur zu gut.

Wird in der Wikipedia-Definition noch auf zusammenpassen und widerspruchsfrei ergänzen abgestellt, genügt es im Gebrauch des Gartenbahner, dass etwas nur stimmig aussieht.

Selbstgemachte Leiden?

Der Urvater der Gartenbahn und lange Zeit alleiniger Hersteller Lehmann (LGB) bewarb seine Produkte anfänglich selbst als im Maßstab 1:22,5. Das war damals zu Beginn des Verkaufs 1968 und in den 1970ern bereits etwas gewagt zu behaupten, denn neben Vorbildern mit 1000 mm Spur fanden sich auch schmalere, allen voran die im Firmenlogo enthaltene Stainz mit 760 mm Spurweite (1:22 in der Länge, 1:17 in der Spurweite). Allein das ergab  schon ein erstes Geschmisch an verschiedenen Maßstäben.
Die Diesellok 2095.11 der ÖBB (Vorbildspurweite 760 mm) kam bereits 1973 auf den Markt und war in der Länge im Maßstab 1:22,5 gehalten. Da ihre Spurweite 45 mm statt der zu erwartenden 32 mm (entsprechend Nenngrößen-Raster) beträgt, kommt sie auf einen Maßstab von 1:17 in der Spurweite.

LGB ÖBB 2095.11

Quelle: Holger Gatz, LGB ÖBB 2095.11

Die zugehörigen vierachsigen Wagen schrumpfen in der Länge sogar um den Faktor 29 zum Vorbild. Ein „stimmiges“ Lok-Wagen-Verhältnis konnte so also auch schon nicht erzeugt werden. Das Argument, die Wagen müssten so kurz sein (Länge über Puffer 460 mm), um noch durch den Radius R1 (=600 mm) zu passen, wurde mit späteren Modellen der Regelspur-Reisezugwagen (800 mm Länge üP) schließlich widerlegt.

Schwierig war es also nun mit der Kombination von Fahrzeugen der 1000- (1:22,5) und 760-mm-Spur (ab 1:17) gemeinsam auf der Modellbahnanlage und schließlich gänzlich unsinnig bei der Einführung von Regelspurmodellen (1:24 – 1:33) in der inzwischen als „Spur G“ bezeichneten Größe. Diese Regelspur-Produkte wollten sich nun überhaupt nicht mehr in ein Maßstabsschema einfügen.
Zum einen sollten diese Modelle in sich stimmig aussehen, zum anderen waren sie gefangen in den Maßen der schmalspurigen Verwandschaft.

Ganz so schlimm hätte es nicht kommen müssen, denn die amerikanischen Modellbahnfreunde hatten sich für den Weg im Maßstab 1:29 auf 45 mm Gleisen entschieden, was man hätte übernehmen können, aber in Deutschland war der G-Spur-Mischmasch mittlerweile etabliert.

Somit wurde aus „stimmig“ schließlich „irgendwie noch stimmig“ und das Kürzel „G“ stand bald nur noch für „Gummi“.

Zwischenzeitlich hatten sich die Hersteller der kleineren Nenngrößen wie H0 und insbesondere N dazu aufgerafft, die Fahrzeuge hauptsächlich maßstäblich herzustellen. Als LGB mit der regelspurigen V200 (Länge im Maßstab 1:24, die zugehörigen Wagen haben je nach Vorbild einen Maßstab von 1:29 bis 1:32) im Jahr 2006 auf dem Markt kam, hatte man sich bei den kleinen Nenngrößen bereits fast 20 Jahre an einen vorbildlichen Maßstab gewöhnt.

Stainz und V 200 von LGB in originaler Produktgröße zueinander*:

Bild-Quelle: LGB, eigene Fotomontage

Bild-Quelle: LGB, eigene Fotomontage

Stainz und V 200 von LGB, wie sie entsprechend der Vorbilder wirklich stimmig zueinander wären*:

Bild-Quelle: LGB, eigene Fotomontage

Bild-Quelle: LGB, eigene Fotomontage

Als dann LGB in die Insolvenz ging, von Märklin „gerettet“ und dann mit Märklin zusammen noch einmal insolvent wurde, sprangen andere Hersteller in die sich öffnende Bresche, allen voran Piko.
Piko erweiterte sein vorhandenes „Winzbahn“-Programm um Regelspur in „G“. Ebenfalls neu in den Chor der Gartenbahnproduzenten kam Train Line in Bünde, das sich auf Meterspur der HSB und RhB konzentriert. Beide Produzenten nehmen dabei mehr oder weniger Rücksicht auf die Stimmigkeit zum Vorbild und haben es bisher leider versäumt, sich hierin mehr von LGB abzusetzten.

Das „Doppelte Stainzchen“ – Links: Auf diese Größe müsste die Stainz von LGB schrumpfen, wenn sie zur V 200 vom gleichen Hersteller stimmig sein soll*:

Bild-Quelle: LGB, eigene Fotomontage

Bild-Quelle: LGB, eigene Fotomontage

Serientäter

Gänzlich unstimmig sind dann Produkte wie amerikanische Kühlwagen mit deutscher Bierwerbung auf harzer Schmalspur (Produzent Liliput).

Ja, es hat einmal Güterwagen mit amerikanischen Drehgestellen gegeben und es wurden auch im oder nach dem zweiten Weltkrieg Schienenfahrzeuge von den US-Truppen nach Europa und Deutschland gebracht. Aber derartige Bierwagen sind ein Marketingprodukt.
Das ist ungefähr so als wolle ein Modellautohersteller eine Sammlung von verschiedenen Oldtimer-Feuerwehren auf Basis des legendären Ford T auf der (tatsächlich) autofreien Nordseeinsel Helgoland stationieren.
Hand aufs Herz: Wäre das für Sie wirklich stimmig?

Und da wir schon beim Thema Kühlwagen sind, schauen wir noch einmal zum Platzhirschen der Garten-Schmalspur: LGB.
Bis heute ist es dem Urvater der Gartenbahn nicht gelungen, einen wirklichen Kühlwagen herauszubringen, außer der US-Variante. Seefische, Bananen, Bier und anderes eine Kühlung Bedürftige wird bei LGB auf unserem Kontinent in hölzernen Schiebewandwagen transportiert.
Zwar sind Holzwagen durchaus dafür geeignet und in frühen Eisenbahnzeiten auch benutzt worden (doppelte Holzwand ausgestopft mit Pferdehaar), aber eine Schiebetür ist einfach unstimmig, sogar unsinnig, da diese Wagen mit Klapptüren ausgerüstet waren (wie die US-Varianten), denn nur diese schließen wirklich dicht und können das Ladegut kühl halten.
So wurde wohl die Vorgabe, vorhandene Formen so weit wie möglich zunutzen, übererfüllt.
Als Steigerung diesen Unsinns werden auch jetzt noch fast alle Bierwagen (eigentlich auch Kühlwagen, siehe oben) mit Epoche-II-Bremserhäuschen ausgerüstet, so als müssten in einem Zug alle Wagen mit einen zusätzlichen Bremser besetzt sein.
Einige Bierwagen hintereinander, das stört noch nicht wirklich, aber alle keine Kühlwagen und alle mit Bremserhaus … soll das wirklich stimmig sein?

Stimmige Zugbildung bildet!

Ist es nicht ein schönes Bild, wenn da jemand mit seinen Kleinstwagen einen australischen Road Train beladen mit Benzin quer durchs Outback zieht?

Quelle: Holger Gatz, 2011, Road Train bei Darwin, Australien

Quelle: Holger Gatz, 2011, Road Train bei Darwin, Australien

Funktioniert nicht, meinen Sie?

Oh doch, das sieht man immer wieder, denn nichts anderes machen findige Gartenbahnfreunde, wenn sie ihre Sammlung von 20 bis 30 Zementsilo-Wagen von einem Rhätischen Krokodil GE 6/6 der RhB ziehen lassen. Es sieht ja so imposant aus, stimmig ist das natürlich nicht.
Die Vorbildmaschine wäre damit heillos überfordert, käme vielleicht auf 10 der gefüllten Güterwagen oder sogar weniger, je nach Steigung auf der Strecke.

Quelle: Holger Gatz, 2016, LGB RhB Krokodil Ge 6/6 I

Quelle: Holger Gatz, 2016, LGB RhB Krokodil Ge 6/6 I

Gern sind auch Züge in einem Höllentempo unterwegs, obwohl die schmalspur-Vorbildlok vielleicht nie schneller als 35 oder sogar 50 km/h gefahren ist bzw. fahren konnte.
Sicherlich ist mir das anfangs auch passiert, habe meine E-Lok (LGBs AEG 1)  über die Gleise gejagt, bis ich mich dann doch ein wenig mit dem Vorbild befasst habe und eingestehen musste, dass bei diesem freundlich dreinschauenden Zugfahrzeug gerade einmal 20 km/h möglich sind.

Was ist denn nun stimmig? – 5 Tipps

  • Will man wirklich ein stimmiges Bild erzeugen, sollte man darauf achten, nur Fahrzeuge im gleichen Maßstab gemeinsam auf einer Anlage fahren zu lassen.

Mein Tipp:
Zumindest sollten die Vorbilder eine gemeinsame Spurweite haben. So fallen die falschen Größenrelationen weniger auf, dann sind die Längen- und Höhenunterschiede noch akzeptabel und es ergibt sich ein geschlosseneres Bild.

  • Wer stimmige Fahrzeuge sucht, sollte sich im Internet in den einschlägigen Foren kundig machen.

Mein Tipp:
Sie müssen sich nicht mit Fachbüchern eindecken, oft gibt es Vergleichsbilder zu den Modellbahnprodukten. Bitte beachten Sie aber, dass Fahrzeuge im Laufe der Jahre auch teils umgebaut wurden und in verschiedenen Epochen ihr Aussehen änderten. Gibt es Besprechungen von Modellen, zögern Sie nicht, genau zu überlegen ob denn nun alle Einschränkungen hinsichtlich der Umsetzung des Produktes wirklich für den jeweiligen Preis hinnehmbar sind.
Bei mir fährt inzwischen Schmalspur im Garten und Regelspur im Haus der Nenngröße N. Das ist sogar viel stimmiger und entlastet unterm Strich auch den Geldbeutel, bzw. erlaubt mehr und/oder aufwändigere Produkte zu kaufen.

  • Schauen Sie einmal nach, wie schnell Züge wirklich sind, bei Klein- und Nebenbahnen sind sie oft nicht schneller als 30 bis 50 km/h.

Mein Tipp:
Genießen Sie das Spiel der Dampfloksteuerung, die ruhige Bewegung des Zuges durch ihren Garten und die Freude, dass die Fahrzeit nun deutlich länger ist ohne dass Sie zusätzliche Gleise verlegen mussten.

  • Sehr oft sieht ein kurzer Zug mit wenigen aber stimmigen Wagen besser aus als ein langer mit vielen gestauchten.

Mein Tipp:
Seien sie mutig und gönnen Sie sich einen maßstäblichen Wagen statt zwei einfacher unmaßstäblicher, die zudem noch aussehen wie Spielzeuge. Mit zwei maßstäblichen, zumindest aber stimmigen Wagons sieht ein Zug besser und überzeugender aus als einer mit 15 Tankwagen in Bonbon-Farben und knallbunter Bedruckung.

  • Wenn Sie keinen Wert auf Stimmigkeit legen, nehmen Sie sich ein Herz und stehen Sie zu ihrer Spielbahn.

Mein Tipp:
Auch wenn es dem einen oder anderen schwer fällt zuzugeben, dass er keine Modell- sondern eine Spielbahn betreibt, seien Sie ehrlich zu sich selbst, es ist kein Beinbruch! Jeder Modellbahner spielt auf seine Weise. Alle Anlagen sind letzten Endes Spielbahnen, aber nicht jede ist auch eine Modelleisenbahn!


Zum 2. Teil

*Da es sich hinsichtlich der Spur G ohnehin um G (wie Gummi) handelt, ist es schwierig, die geknautschten Maße miteinander zu vergleichen. Ich wähle daher zumeißt drei Vergleiche:

  1. Die zu vergleichende Lok A in Produktgröße zu einer anderen Lok B
  2. Die zu vergleichende Lok A im korrekten Längenverhältnis zur Lok B
  3. Die Lok A im korrekten Verhältnis zu sich selbst bei gleicher Höhe.

Diese Methode ist allein abhängig von der Länge des Modell und der Länge des Vorbilds, die beide in der Regel bekannt sind.

Ein Gedanke zu „„Stimmig“ und „Hätte so sein können“ (Teil 1/2)

  1. Hans-Joerg Mueller

    Ja Holger, genau so ist es und die Brüder in der „Stimmig Clique“ werden es nie zugeben. Genau so wenig wie den Umstand, dass sie öfters mal Mist kaufen. Ich weiss, ich weiss, jeder kauft sicher das Beste und wenn es auch noch stimmig ist, ja dann ist es egal ob das Teil so läuft wie erwartet oder wie man es erhoffte. Auf gar keinen Fall hat man Mist gekauft, denn… es ist ja stimmig.

    Du hast Fachbücher angetönt? Wer will sich denn, als ausgewachsener Spass- und Stimmigfahrer, mit so trockener Lektüre rumplagen? Es könnte ja sein , dass man dabei etwas lernt das ganz sicher nicht in die „Stimmig“ Schublade passt und schon hat man sich das Hobby versaut.

    Weiter so, ich finde es gediegen, dass die „Stimmigfahrer“ auch mal, zum Zug kommen. 😉

    Recht schönen Gruss aus dem Weiten Westen von Kanada.

    PS In einem bekannten Forum wurde irgend was von „ätzend“ erwähnt, Ja, ja, ätzend ist es meist dann wenn man „stimmig“ als Karikatur sieht. 😉 🙂

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